Interview mit Lisa Osada von Aktiengram

„Eine Krise ist immer auch eine Chance für Innovation und gesellschaftliches Umdenken“

Interview mit Hava Misimi von Femance

Mit nur 25 Jahren gewann Hava Misimi mit ihrem Blog Femance den heißbegehrten Comdirect Finanzblog Award. Im Interview mit finanzvergleich.com verrät die erfolgreiche Finanzbloggerin und Privatanlegerin, wie sie schon früh den Umgang mit Geld gelernt hat, welche Fehler Anleger in der aktuellen Krise vermeiden sollten und warum Konsum nicht alles ist.

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Ein Großteil der jungen Erwachsenen in Deutschland beschäftigt sich wenig bis gar nicht mit Geldanlagen. Was hast Du anders gemacht als Deine Altersgenossen?

Ich habe, seit ich 14 bin, quasi immer gearbeitet, sprich: Zeitungen ausgetragen, lange am Wochenende im Altenheim gearbeitet und mein Studium durch Kellnern, Jobs als Angestellte am Lehrstuhl und Werkstudententätigkeiten finanziert. Das heißt, ich habe schon in jungen Jahren die Bedeutung und den Wert von Geld gelernt. Gleichzeitig habe ich sehr hart an meiner Ausbildung gearbeitet: Während der Schule, im Studium und auch heute noch im Job bilde ich mich kontinuierlich weiter.

Und das hat dazu geführt, dass Du Dich heute so intensiv mit Finanzthemen beschäftigst?

Ja, denn mit meinem ersten „richtigen“ Job hatte ich durch gutes Haushalten (was ich schon in frühen Jahren durch die Jobs gelernt hatte) und keine großen Lifestyle-Veränderungen deutlich höhere Sparquoten. Da ich als junge Erwachsene viel gespart habe – für kurzfristige und mittelfristige Ziele wie Reisen oder ein Auslandsstudium – stellte ich mir irgendwann die Frage: Wie kann ich mein Geld anlegen? Denn auf dem Girokonto hat es ja überhaupt nichts abgeworfen.

In meinem Job als Unternehmensberaterin habe ich täglich Unternehmen beraten, wie sie durch richtige Investitionen in Marketing und Innovation Wachstum generieren können. Aber wie macht man das als Privatperson? Wie schafft man Wachstum für das eigene Vermögen?

So habe ich angefangen, mich mit den Themen auseinanderzusetzen und auf meinem Blog Femance.com das Ganze mit anderen jungen Leuten zu teilen.

Was ist Deiner Meinung nach der Grund, warum ausgerechnet heutzutage so viele junge Menschen nicht mehr den Blick für langfristiges finanzielles Denken haben?

Ich denke, das ist nicht einfach pauschal zu beantworten. Ich glaube, dass sich viele junge Leute durchaus Gedanken um ihre Finanzen machen. Jedoch werden leider keine Basics vermittelt – weder in der Schule noch im Studium. Und viele Banken sprechen in einer kryptischen Sprache, die junge Menschen nicht anspricht.

Gleichzeitig sind Finanzen ein noch tabuisiertes Thema in unserer Gesellschaft – was das Ganze nicht erleichtert.

Vor allem in jungen Jahren steht die konsumorientierte Gesellschaft einem sparerfreundlichen Lebensstil oft im Weg. Wie gehst Du damit um und welche Tipps hast Du für junge Anleger?

Das kann ich sehr gut nachvollziehen – es ist nicht einfach. Vor allem wird man in den sozialen Medien permanent damit konfrontiert.

Ich habe mir überlegt: Was macht mich eigentlich glücklich, und was sind meine Ziele im Leben? Das hilft, um ständig motiviert zu bleiben. Darauf aufbauend habe ich mir monatliche Budgets geschnürt, um diese Ziele zu erreichen und trotzdem Spaß im Leben zu haben – und für die Dinge, die ich liebe und wertschätze, im Hier und Jetzt Geld auszugeben.

Ich versuche, mich nie zu beschränken, sondern kreativ und offen zu bleiben. Sprich: Wenn ich etwas unbedingt haben möchte, das aber nicht ins Budget passt, dann schaue ich nach Second-Hand-Optionen. Wenn ich gerne viel mit Freunden unternehme, aber nicht das Budget habe, um vier Tage die Woche ins Restaurant zu gehen, lade ich lieber zu Selbstgekochtem zu Hause ein oder treffe mich auf einen Kaffee – und so weiter.

Außerdem hilft es, den stark konsumorientierten Social-Media-Accounts zu entfolgen, weniger in die Stadt zu gehen etc., um nicht unterbewusst immer zu denken: „Das brauche ich unbedingt.“

Nicht jeder ist in der Lage, sich kurz nach dem Berufseinstieg eine Eigentumswohnung zuzulegen. Zu welcher Anlageklasse würdest Du Einsteigern im Allgemeinen raten?

Auch hier gilt: Es gibt keine pauschale Antwort, denn Menschen sind individuell – so auch ihre Ziele, ihre Risikoneigung und ihr verfügbares Einkommen. Wichtig ist, sich Gedanken zu machen und die passenden Anlageklassen zu finden. Ob Aktien, Anleihen, Aktienfonds, Immobilienfonds oder ETFs (wo es auch Immobilien-ETFs gibt): Es ist für jeden etwas dabei. Man sollte nicht zu lange warten, sondern den Zinseszins-Effekt nutzen, indem man früh mit dem Investieren beginnt – auch mit kleinen Beträgen.

Ich habe zum Beispiel mit ETFs angefangen, weil ich hier schon ab 25 € pro Monat in verschiedene Fonds investieren konnte und mich so an die Börse herantasten konnte.

Seit der Finanzkrise 2008 haben sich ETFs als eine der beliebtesten Anlagen etabliert. Was hältst Du von dem ETF-Hype?

ETFs haben Vor- und Nachteile. Sie sind breit diversifiziert (vorausgesetzt, man wählt einen ETF, der in verschiedene Branchen und Länder investiert), monatlich besparbar und haben sehr geringe Kosten, da sie einen Index nachbilden. Außerdem kann man durch konstante Sparraten den Cost-Average-Effekt gut nutzen. Dafür bergen sie Klumpenrisiken (bei stark spezifischen ETFs), und sie können nicht besser abschneiden als der Index.

Für mich sind ETFs bei geringen monatlichen Sparraten durch die niedrigen Kosten und breite Diversifikation ein solides, langfristiges Anlageprodukt. Ich investiere selbst auch in ETFs. Sie sind meiner Meinung nach jedoch kein „Allheilmittel der Altersvorsorge“, wie oft behauptet wird. Für manche ist das Risiko zu hoch, und das ist völlig in Ordnung – es gibt auch andere Produkte mit weniger Risiko, die leider oft unterschätzt werden.

Die da wären?

Zum Beispiel Rentenfonds, bei denen man die Risiken ebenfalls diversifizieren kann. Europäische Staatsanleihen gelten als sicherer, während Unternehmensanleihen höhere Renditen bieten können.

Momentan befindet sich die Weltwirtschaft in einer ähnlichen Lage wie 2008. Siehst Du in solchen Krisen auch Chancen? Wenn ja, welche?

Ich bin ein optimistischer Mensch, dennoch darf man die Krise nicht unterschätzen. Die Börse ist aktuell sehr positiv gestimmt – trotz Kurzarbeit, insolventer Unternehmen und anderer wirtschaftlicher Herausforderungen. All das hat Auswirkungen auf die Volkswirtschaft und somit auch auf börsennotierte Unternehmen. Es lohnt sich daher, die Quartalszahlen genau zu verfolgen.

Chancen sehe ich besonders im Bereich der Digitalisierung und Bildung. Es ist an der Zeit, dass Unternehmen ernsthaft digitalisieren, neue Arbeitskonzepte entwickeln und Bildung nicht nur digital, sondern auch persönlich zugänglich machen. Eine Krise ist für mich immer auch eine Chance für Innovation und gesellschaftliches Umdenken – und genau das findet meiner Meinung nach gerade statt.

Die Krisenlage schreckt viele Börseninteressierte ab. Gleichzeitig wollen einige gerade jetzt einsteigen, um von niedrigen Kursen zu profitieren. Welche Tipps hast Du für Privatanleger in Krisenzeiten, und was sind die schlimmsten Fehler, die man jetzt machen kann?

  1. Ruhig bleiben. Weder wahllos euphorisch kaufen noch panisch verkaufen. Gefahr entsteht an der Börse durch Unwissenheit, wie Warren Buffett sagt. Man muss verstehen, in was man investiert: Was steckt hinter dem Produkt oder der Aktie? Ist das Geschäftsmodell zukunftsfähig? Wie ist die finanzielle Verfassung des Unternehmens?
  2. Den Notgroschen nicht investieren. Der sollte immer verfügbar bleiben – ein Richtwert: 2 bis 3 Nettomonatsgehälter auf einem separaten Konto.
  3. In Tranchen investieren. Niemand weiß, wann ein „Tiefstand“ erreicht ist. Ich lege eine Summe fest, die ich investieren möchte, und kaufe in Teilbeträgen. So ärgert man sich weniger über mögliche Schwankungen.

Außerdem sollte man nie alles auf eine Karte setzen. Hätte man vor Corona ausschließlich in die Tourismusbranche investiert, wäre das Depot jetzt stark belastet.

Auf Deinem Blog beschäftigst Du Dich auch mit einem sparerfreundlichen Lifestyle. Wo liegen hier die größten Unterschiede zu einem konsumorientierten Lifestyle?

Es geht darum, nicht wahllos zu kaufen, was gesellschaftlich oder durch Werbung vorgegeben wird, sondern Dinge zu kaufen, die einen wirklich glücklich machen. Das ist individuell verschieden.

Ich besitze zum Beispiel kein Auto, weil ich alles mit dem Fahrrad erreiche und das liebe. Für mich lohnt sich ein Auto nicht. Für jemanden, der weite Strecken zur Arbeit fährt, ist es dagegen sinnvoll.

Ich liebe Mode und zeige, dass man nicht die neuesten Sneaker braucht, nur weil sie jeder trägt. Stattdessen kann man seinen eigenen Stil finden, weniger kaufen und auch Second-Hand-Stücke entdecken.

Sparen hat einen negativen Ruf, obwohl es nachhaltig und revolutionär ist: Es gibt die Gelegenheit, sich auf das zu konzentrieren, was einem wirklich wichtig ist.

Was sagst Du zu jemandem, der einem sparerfreundlichen Lifestyle skeptisch gegenübersteht, weil er Angst hat, etwas in seinen besten Jahren zu verpassen?

Eigentlich würde ich gar nichts sagen, sondern mein Leben vorleben. Ich genieße meine besten Jahre in vollen Zügen und verpasse nichts. Vielleicht inspiriert das ja jemanden. Es ist eine Frage der Einstellung, die im Kopf beginnt.

Inzwischen hast Du als Privatanlegerin einiges an Erfahrung gesammelt. Was würdest Du heute anders machen als zu Beginn Deines Weges? Und was war Dein bisher größtes Erfolgserlebnis?

Ich würde definitiv noch früher mit dem Investieren anfangen. Ansonsten würde ich nichts anders machen. Ein großer Erfolg war für mich der 1. Platz beim Deutschen Finanzblog-Award 2019 – darüber habe ich mich sehr gefreut!

Danke für das Gespräch!