„Man muss verstehen, in was man investiert“ – Hava Misimi im Interview

Mit nur 25 Jahren gewann Hava Misimi mit ihrem Blog „Femance“ den heißbegehrten Comdirect Finanzblog Award. Im Interview mit finanzvergleich.com verrät die erfolgreiche Finanzbloggerin und Privatanlegerin, wie sie schon früh den Umgang mit Geld gelernt hat, welche Fehler Anleger in der aktuellen Krise vermeiden sollten und warum Konsum nicht alles ist.

finanzvergleich.com: Ein Großteil der jungen Erwachsenen in Deutschland beschäftigt sich wenig bis gar nicht mit Geldanlagen. Was hast Du anders gemacht als Deine Altersgenossen?

Hava Misimi: Ich habe seit ich 14 bin quasi schon immer gearbeitet, sprich: Zeitungen ausgetragen, lange im Altenheim am Wochenende gearbeitet und mein Studium durch Kellnern, als Angestellte am Lehrstuhl und durch Werkstudentenjobs finanziert. Das heißt, ich habe schon in jungen Jahren die Bedeutung und den Wert von Geld gelernt. Gleichzeitig habe ich sehr hart an meiner Ausbildung gearbeitet: Während der Schule, im Studium und auch heute noch im Job bilde ich mich kontinuierlich weiter.

Und das hat dazu geführt, dass Du Dich heute so intensiv mit Finanzthemen beschäftigst?

Ja, denn mit meinem ersten „richtigen“ Job hatte ich durch gutes Haushalten (was ich schon in frühen Jahren durch die Jobs gelernt hatte) und keine großen Lifestyle-Veränderungen deutlich höhere Sparquoten. Da ich als junger Mensch viel gespart habe für kurzfristige und mittelfristige Ziele wie Reisen, Auslandsstudium etc., stellte ich mir nun die Frage: Wie kann ich mein Geld anlegen? Denn auf dem Girokonto hat es ja überhaupt nichts abgeworfen. In meinem Job als Unternehmensberaterin habe ich täglich Unternehmen beraten, wie sie durch richtige Investitionen in Marketing und Innovation Wachstum generieren können, aber wie macht man das als Privatperson? Wachstum für das eigene Vermögen?

So habe ich angefangen, mich mit den Themen auseinander zu setzen und auf meinem Blog Femance.com das Ganze mit anderen jungen Leuten zu teilen.

„Ich glaube, dass viele junge Leute sich Gedanken um ihre Finanzen machen. Jedoch bekommt man leider keine Basics vermittelt – weder in der Schule noch im Studium.“

Was ist Deiner Meinung nach der Grund, warum ausgerechnet heutzutage so viele junge Menschen nicht mehr den Blick für langfristiges finanzielles Denken haben?

Ich denke, das ist nicht einfach pauschal zu beantworten. Ich glaube, dass viele junge Leute sich Gedanken um ihre Finanzen machen. Jedoch bekommt man leider keine Basics vermittelt – weder in der Schule noch im Studium. Und viele Banken sprechen kryptische Sprachen, die junge Menschen nicht ansprechen.

Gleichzeitig sind Finanzen ein noch tabuisiertes Thema in unserer Gesellschaft – was das Ganze nicht erleichtert.

Vor allem in jungen Jahren steht die konsumorientierte Gesellschaft einem sparerfreundlichen Lebensstil oft im Weg. Wie gehst Du damit um und welche Tipps hast Du für junge Anleger?

Das kann ich sehr gut nachvollziehen – es ist nicht einfach. Vor allem wird man in den sozialen Medien permanent damit konfrontiert.

Ich habe mir überlegt: Was macht MICH eigentlich glücklich und was sind MEINE Ziele im Leben? Das hilft, um ständig motiviert zu bleiben. Darauf aufbauend habe ich mir monatliche Budgets festgeschnürt, um diese Ziele zu erreichen und trotzdem Spaß im Leben zu haben und für die Dinge, die ich liebe und wertschätze, im Hier und Jetzt Geld auszugeben.

Ich versuche mich nie zu beschränken, sondern kreativ und offen zu bleiben. Sprich: Wenn ich etwas unbedingt haben möchte, das aber nicht ins Budget passt, dann schaue ich Second Hand. Wenn ich gerne viel mit Freunden mache, aber nicht viel Budget habe, um 4 Tage die Woche in ein Restaurant zu gehen, lade ich gerne zu Selbstgekochtem zu Hause ein oder treffe mich auf einen Kaffee und so weiter.

Außerdem hilft es auch, den stark konsumorientierten Social Media Accounts zu entfolgen, weniger in die Stadt zu gehen etc., um nicht unterbewusst immer zu denken: „Das brauche ich unbedingt.“

„Ich investiere selbst auch in ETFs. Sie sind meiner Meinung nach aber kein ‘Allheilmittel der Altersvorsorge’, wie von vielen angepriesen.“

Nicht jeder ist in der Lage, sich kurz nach dem Berufseinstieg eine Eigentumswohnung zuzulegen. Zu welcher Anlageklasse würdest Du Einsteigern im Allgemeinen raten?

Auch hier gilt: Es gibt keine pauschale Antwort, denn Menschen sind individuell und so sind auch ihre eigenen Ziele, ihre Risikoneigung und ihr verfügbares Einkommen. Wichtig ist, dass man sich Gedanken macht und sich auf die Suche nach den richtigen Anlageklassen begibt. Ob Aktien, Anleihen, Aktienfonds, Immobilienfonds oder ETFs (wo es auch Immobilien-ETFs gibt): Es ist für jeden etwas dabei und man sollte nicht zu lange warten, sondern den Zinseszins-Effekt für sich nutzen, indem man schon früh anfängt zu investieren. Auch wenn es nur kleine Beträge sind.

Ich habe z. B. mit ETFs gestartet, weil man hier schon ab 25 € pro Monat in verschiedene ETFs investieren konnte und ich mich so an die Börse herantasten konnte.

Seit der Finanzkrise 2008 haben sich ETFs als eine der beliebtesten Anlagen etabliert. Was hältst Du von dem ETF-Hype?

ETFs haben Vor- und Nachteile. Sie sind breit diversifiziert (vorausgesetzt man wählt auch einen ETF, der in verschiedene Branchen und Länder investiert), monatlich besparbar und haben sehr geringe Kosten, da das Management einen Index nachbildet. Außerdem kann man den Cost-Average-Effect durch konstante monatliche Sparraten gut nutzen. Dafür bergen sie aber Klumpen-Risiken (bei der Wahl von stark spezifischen ETFs) und sie können nicht besser performen als ein Index.

Für mich sind sie bei geringen monatlichen Sparraten durch die geringen Kosten und breite Diversifikation immer noch ein solides, langfristiges Anlageprodukt. Ich investiere selbst auch in ETFs. Sie sind meiner Meinung nach aber kein „Allheilmittel der Altersvorsorge“, wie von vielen angepriesen. Für manche ist das Risiko zu hoch und das ist völlig in Ordnung, es gibt auch andere Produkte mit weniger Risiko, die zu Unrecht leider immer wieder untergebuttert werden.

Die da wären?

Das sind Produkte wie beispielsweise Rentenfonds, wo man Risiken auch nochmal diversifizieren kann. Während europäische Staatsanleihen z. B. sicherer sind, gibt es auch Unternehmensanleihen, die in den Fonds abgebildet werden können.

„Es ist wichtig, weder euphorisch wahllos zu kaufen oder panisch zu verkaufen. Gefahr an der Börse entsteht durch Unwissenheit, wie Warren Buffet so schön sagt.“

Momentan befindet sich die Weltwirtschaft in einer ähnlichen Lage wie 2008. Siehst Du in solchen Krisen auch Chancen? Wenn ja, welche?

Ich bin ein optimistischer Mensch, dennoch ist die Krise nicht zu unterschätzen. Die Börse ist aktuell sehr positiv gestimmt, trotz der starken Kurzarbeit, insolventen Unternehmen & Co. – das hat alles Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft und somit auch auf börsennotierte Unternehmen – also: Quartalszahlen immer mitverfolgen!

Chancen sehe ich definitiv und zwar im Bereich der Digitalisierung und Bildung. Es wird Zeit, dass sich Unternehmen tatsächlich digitalisieren, neue Arbeitskonzepte ins Leben gerufen werden und auch Bildung tatsächlich digital verfügbar wird und trotzdem persönlich ist. Eine Krise ist für mich immer eine große Chance für Innovation und gesellschaftliches Umdenken. Und ich denke, dass genau das aktuell stattfindet.

Die Krisenlage schreckt jetzt viele Börseninteressierte ab, gleichzeitig wollen einige gerade jetzt an der Börse ihre erste Anlage tätigen, weil sie zu besonders niedrigen Kursen einsteigen können. Welche allgemeinen Tipps hast Du für Privatanleger in Krisenzeiten und was sind die schlimmsten Fehler, die man jetzt machen kann?

Mein 1. Tipp: Ruhig bleiben. Es ist wichtig, weder euphorisch wahllos zu kaufen oder panisch zu verkaufen. Gefahr an der Börse entsteht durch Unwissenheit, wie Warren Buffet so schön sagt. Man muss verstehen, in was man investiert. Was steckt hinter dem Produkt, der Aktie? Man muss genau analysieren und langfristig denken: Ist dieses Geschäftsmodell zukunftsfähig? Wie ist die innere Verfassung? Analysetipps gibt es sehr viele auf meinem Blog.

Mein 2. Tipp: NIEMALS den Notgroschen investieren – der sollte immer auf einem separaten Konto verfügbar sein. Vor allem in Krisenzeiten. Ein Richtwert: 2 bis 3 Nettomonatsgehälter.

Mein 3. Tipp: In Tranchen investieren. Niemand weiß, wann ein „Tiefstand“ erreicht ist – das sind immer nur Spekulationen. Ich lege mir eine Summe fest, die ich investieren will und kaufe dann in Tranchen, sodass ich mich nicht ärgere, „nicht zum Besten Preis“ gekauft zu haben.

Außerdem: Nicht alles auf eine Karte setzen. Hätte man vor Corona alles in die Tourismusbranche investiert, sähe es jetzt nicht so rosig für einen selbst im Depot aus.

„Sparen ist negativ behaftet, obwohl es eigentlich etwas ganz Revolutionäres und Nachhaltiges ist: Es bietet Gelegenheit, seinem Charakter und seinen Vorlieben auf den zu Grund gehen.“

Auf Deinem Blog beschäftigst Du Dich auch mit einem sparerfreundlichen Lifestyle. Wo liegen hier die größten Unterschiede zu einem konsumorientierten Lifestyle, wie man ihn z. B. aus der Werbung kennt?

Es geht vor allem darum, nicht wahllos zu kaufen, was gesellschaftlich oder „werblich“ vorgegeben wird, sondern Dinge zu kaufen, die einen selbst wirklich glücklich machen. Und das ist ganz verschieden. Ich besitze z. B. kein Auto, weil ich mit dem Fahrrad überall hinfahre und es liebe. Ein Auto würde sich für mich nicht lohnen. Für den anderen kann es sich aber lohnen, weil er weitere Strecken zur Arbeit fährt und sonst nicht hinkommt.

Ich mag Mode auch sehr gerne und will anderen zeigen, dass man nicht die neusten Sneaker haben muss, weil sie jeder trägt und sie in einem Jahr dann doch weggibt, sondern dass man seinen eigenen Stil finden kann, weniger dadurch einkauft und auch mal Second Hand stöbern kann.

Sparen ist negativ behaftet, obwohl es eigentlich etwas ganz Revolutionäres und Nachhaltiges ist: Es bietet Gelegenheit, seinem Charakter und seinen Vorlieben auf den zu Grund gehen.

Was sagst Du zu jemandem, der einem sparfreundlichen Lifestyle skeptisch gegenübersteht, weil er z. B. Angst hat, etwas in seinen besten Jahren zu verpassen?

Eigentlich würde ich gar nichts sagen, sondern einfach mein Leben als Vorbild so leben. Denn ich genieße die besten Jahre meines Lebens absolut und verpasse gar nichts. Vielleicht inspiriert das ja jemanden. Das ist aber Einstellungssache und beginnt im Kopf.

Inzwischen hast Du als Privatanlegerin einiges an Erfahrung gesammelt. Was würdest Du heute rückblickend anders machen als zu Beginn deines Weges? Was war Dein bisher größtes Erfolgserlebnis?

Ich würde definitiv noch früher mit dem Investieren anfangen, ansonsten würde ich nichts anders machen. Ein Erfolg war definitiv der 1. Preis beim deutschen Finanzblogaward 2019, darüber habe ich mich sehr gefreut!